Ein Wochenende in der Hauptstadt: lang ersehnte Gelegenheit, einmal wieder eine englisch-sprachige Zeitung zu lesen. Und Freunde zu treffen, die ich seit meinem letzten Besuch vor zwei Jahren nicht mehr gesehen habe. Großes Thema immer noch in der China Daily: die Zwei-Kind-Politik, die die Regierung vor anderthalb Wochen überraschend verkündet hat. Viele Branchen erhoffen sich erhöhtes Wachstum: Babypflegeprodukte, Babynahrung, Spielsachen, Kinderbetreuung, aber auch der Immobiliensektor und die Autoindustrie. Zahlreiche Familien werden durch ein mögliches zweites Kind eine größere Wohnung brauchen; aber werden sich auch so viele Familien die hohen Kaufpreise für Apartments leisten können? Im Pekinger Haidian Distrikt, wo viele sehr gute Schulen angesiedelt sind, kostet eine Wohnung (kein Neubau) zwischen 8.000 und 15.000 Euro pro Quadratmeter!

Statistiken in der China Daily zur Zweikindpolitik
Die Zeitung listet weiterhin penibel auf, was es finanziell bedeutet, ein zusätzliches Kind großzuziehen: von den Kosten während der Schwangerschaft für medizinische Checks und Nahrungsmittelergänzung über die Kosten der Entbindung, Milchpulver und Nahrung für das Kind, Kindergarten und Babysitter-Kosten für das Kleinkind bis zu Spielsachen, Kindergarten, Essen, Kleider und Reisen bis zum Alter von 6 Jahren. Wenn man alle Ausgaben addiert, kommt die stolze Summe von 65.000 Euro heraus. Ist es da verwunderlich, dass viele Experten zweifeln, ob sich tatsächlich so viele Familien für ein zweites Kind entscheiden werden?
Zu den finanziellen Bürden kommt nämlich noch ein gewichtiges Argument hinzu, über das in den letzten Tagen das chinesische Fernsehen berichtete: viele Frauen ziehen die Karriere oder den sicheren Arbeitsplatz der Belastung durch ein weiteres Kind vor. Sie sagen das in Interviews in den Medien auch ganz offen. Wie bekannt kommt einem das als Deutsche vor? Da wird die Regierung weiter gefragt sein, ähnlich wie in Deutschland familienfreundliche Regelungen für Elternzeit und Arbeitszeit zu schaffen. Meine Studentinnen hören immer sehr aufmerksam zu, wenn ich über flexible Arbeitszeitmodelle in Deutschland erzähle, die vor allem von arbeitenden Müttern genutzt werden.
Mit meinem Freund Wu Jianhua aus Beijing, den ich schon viele Jahre kenne, habe ich ebenfalls über das Thema gesprochen: er findet es sehr gut, dass Familien nun wieder mehr Kinder haben dürfen, er hat selbst mehrere Geschwister. Sein einziges Kind, Tochter Tong, ist Mitte Zwanzig, studiert in Deutschland und er sagt über sie, dass sie zu der bemitleidenswerten Generation gehört, die später mal für vier Alte sorgen muss: für beide Eltern und für die Schwiegereltern. Dazu kommt für ihn noch eine ganz andere Sorge: Tong, die seit 4 Jahren in Aachen studiert und dort mit ihrem chinesischen Freund zusammenlebt, gefällt es so gut in Deutschland, dass sie langfristig dort bleiben möchte. Wer kümmert sich dann um Wu und seine Frau, wenn sie in einigen Jahren in Rente gehen? Und wie oft werden sie ihr zukünftiges Enkelkind sehen?

Freund Wu Jianhua und seine Frau Lan