In meinem Apartment in der Wohnanlage der Shangdong Agricultural University hängt an der Wand im Esszimmer eine Weltkarte. Diese Weltkarte sieht anders aus als wir im Westen Weltkarten kennen – klar, denn sie stellt die Welt aus asiatischer Perspektive dar. In der Mitte befindet sich sprichwörtlich das Land der Mitte – und Europa ist sehr klein am linken oberen Rand zu sehen. Australien befindet sich prominent im Zentrum, umgeben vom Pazifischen und Indischen Ozean, auf der rechten Seite ist der amerikanische Kontinent abgebildet und wirkt sehr groß.
Das setzt auch die Politik in eine andere Perspektive. Für die Staatsoberhäupter hier gibt es asiatische Verbünde wie ASEAN oder APEC und vielfältige Wirtschafts- und politische Beziehungen zu den asiatischen Nachbarländern. Und doch – durch die Globalisierung hat sich die internationale Zusammenarbeit über die Kontinente weg stark intensiviert. Seit ich vor genau vier Wochen hier angekommen bin, hat der chinesische Präsident Xi Jinping ein stattliches Programm absolviert: eine sehr erfolgreiche Englandreise mit dem Abschluss milliardenschwerer Geschäfte, den Empfang der Kanzlerin in Beijing, gleich darauf den Empfang von Francois Hollande mit vorbereitenden Gesprächen zum Weltklimagipfel in Paris sowie ebenso dem Abschluss wichtiger Kooperationsprojekte im Bereich des Umweltschutz. Xi war in Vietnam, einem Nachbarstaat, dessen Beziehung zu China als nicht einfach bezeichnet werden kann und er hat vor einer Woche in Singapur einen historischen Handschlag mit dem taiwanesischen Präsidenten Ma getätigt. Dies war das erste Zusammentreffen zwischen einem chinesischen Staatsoberhaupt und dem taiwanesischen Präsidenten seit der Abspaltung von Taiwan 1949. Eine enorm bedeutende Geste im spannungsreichen Verhältnis zu Taiwan, das China als Land nicht anerkennt. In meiner Aufzählung fehlen noch Treffen mit dem philippinischen Staatsoberhaupt, dem Präsidenten von Singapur und – nicht zu vergessen, die innenpolitischen Beratungen zum 13. Fünfjahresplan der chinesischen Regierung, der die Schwerpunkte setzt für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung Chinas in den nächsten Jahren. Aktuell zeigt das chinesische Fernsehen CCTV Bilder vom G20 Gipfel in Istanbul. Dort spielt Xi, der sich insgesamt auf internationalem Parkett souverän bewegt, eine besondere Rolle: im kommenden Jahr findet der G20 Gipfel in Hangzhou in der Provinz Zhejiang statt, Xi wird also der Gastgeber für die 20 Staatsoberhäupter und Regierungsvertreter sein.
Über die Selbstverständlichkeit, mit der Xi sich, oft gemeinsam mit seiner Frau Peng, einer ehemaligen Sängerin, auf internationalen Staatsbesuchen bewegt, steht stellvertretend für das neue Selbstbewusstsein der chinesischen Nation und ihrer Bürger. China braucht sich nicht mehr hinter dem Westen zu verstecken: es baut High Speed Trains, die mit perfektionistischer Pünktlichkeit die Passagiere auf vielen Verbindungen durch das ganze Land bringen. Es baut mit der C9 19 ein Mittelstreckenflugzeug, das mit Boeing oder Airbus konkurrieren kann. Ja, es gibt Probleme mit dem Umweltschutz: aber viele Investitionen auf diesem Gebiet, nicht zuletzt mit westlichen Partnern, zeigen den Fortschritt. Die Bürger fahren mit E-Bikes, Elektrorollern und fast jeder hält vor seiner Haustüre die Umgebung sauber. Das ist in vielen anderen asiatischen Ländern nicht so, mit Indien angefangen. Ja, das medizinische System hängt zurück im Vergleich zum Westen, Ärzte sind gut ausgebildet, aber werden schlecht bezahlt. Und dennoch: die Lebenserwartung ist seit 1990 von 68 auf 76 Jahre gestiegen, mit großen Unterschieden von Provinz zu Provinz. Meine Freundin Claudia aus Köln hat mir einen Artikel aus dem Economist zugeschickt, der den Fortschritt deutlich auf einer Karte zeigt: wenn die 33 Provinzen Nationen wären mit vergleichbaren Lebenserwartungsraten, dann sähe das so aus. Ein interessanter Vergleich …
Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, wenn ich die Weltpolitik von Tai’an aus verfolge, Natürlich dominieren derzeit auch die schrecklichen Bilder von den Terroranschlägen in Paris die Nachrichten. Die chinesische Regierung hat sofort den Franzosen kondoliert und ihre Solidarität mit Frankreich erklärt. China sei bereit, Frankreich im Kampf gegen den Terrorismus zur Seite zu stehen und die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen zu verstärken, sagt Xi Jinping. Und so rückt die große Welt in solchen Momenten eben doch eng zusammen, die Probleme des Terrors betreffen uns alle, mögen auch die genannten Länder unterschiedliche Lösungsstrategien verfolgen.