Am Freitagabend war mein letzter Abend mit der Yogagruppe. In den fünf Wochen, die ich in Tai’an verbracht habe, hat mir das tägliche Yoga enorm gutgetan und geholfen, den Stress von der Uni und den Vorlesungen abzubauen. Und ich habe zwei Freundinnen gewonnen – dazu aber später mehr. Die Yogastunde in China läuft etwas anders ab als in Deutschland. Die Eröffnung der Stunde ist ähnlich, man beginnt mit einer Eingangsentspannung. Danach reiht sich eine Übung an die andere, ähnlich wie mein Yogakurs in Deutschland wird hier auch Hatha-Yoga praktiziert, also eine dem Westen angenäherte Art des Yoga.
Im Unterschied zum Yoga in Deutschland sagt die Lehrerin hier aber alle Übungen, Bewegungen und Atemübungen permanent an. Meine Lehrerin in Stuttgart sagt die Übungen ein, zweimal an und lässt uns dann Wiederholungen machen. Die Lehrerin hier spricht die komplette Stunde in einem fort. Dazu läuft im Hintergrund leise entspannende Musik, immer die gleich Musik in jeder Stunde. Das Band hängt auch immer an der gleichen Stelle, um nach einer Weile genauso zuverlässig wieder zu beginnen. Vielleicht ist diese durchgängige Form der gesprochenen Anleitung dem hiesigen Lernsystem geschuldet, das immer die Anweisungen des Lehrers braucht.
Die chinesische Yogalehrerin war bei meiner Anmeldung besorgt und fragte mich über eine Kollegin, ob ich denn alles verstünde, was sie sage. Ich verneinte, erzählte aber, dass ich in Deutschland seit über 10 Jahren Yoga praktiziere und die meisten Übungen kenne. Das hat sie dann überzeugt. Seither achten sie und ihre Kollegin (zwei Yogalehrerinnen wechseln sich ab) einfach immer ein bisschen mehr auf mich als auf andere Schülerinnen und wenn ich eine Bewegung nicht ganz richtig ausführe, korrigieren sie mich.
Interessant finde ich bei den anderen Yogaschülerinnen (es gibt nur Schülerinnen, im Unterschied zu Deutschland verirrt sich hier kein Mann in eine Yogaklasse) die Angewohnheit, ihr Smartphone immer dicht bei sich zu haben, sprich neben der Yogamatte. Nicht selten kommt es vor, dass sie kurz ihre Nachrichten zwischen zwei Übungen checken und der Höhepunkt war neulich, dass eine Chinesin einen Anruf entgegennahm während einer Übung und nicht etwa zum Sprechen aus dem Raum ging, sondern nur ihre Stimme senkte.
Interessant wird es auch stets kurz vor Ende der Stunde, wenn die Schlussentspannung beginnt. Dann rollt regelmäßig der überwiegende Teil meiner Mitschülerinnen ihre Matte zusammen und verlässt den Kurs, so als ob sie sagen wollten, dass das nun nicht mehr effizient sei, was jetzt kommt und sie wichtigeres zu tun haben. Wahrscheinlich Filme gucken oder Nachrichten checken … Abendessen war ja schon vor der Yogastunde, denn die Mensa schließt um 19 Uhr.
Ich habe durch das Yoga zwei sehr liebenswerte junge chinesische Studentinnen näher kennengelernt und wir sind Freundinnen geworden. Sie haben am ersten Abend für mich übersetzt, weil sie ganz gut Englisch sprechen und aufgeschlossen sind. Seither unterhalten wir uns regelmäßig auf dem kurzen gemeinsamen Heimweg über unseren Tag, über unser Leben, über alles Mögliche. Panpan, die ältere, studiert Ingenieurswissenschaften und ist sehr fleißig, sie lernt fast immer in ihrer Freizeit. Athena studiert Anglistik und als zweite Sprache neben Englisch lernt sie Japanisch. Beide würden gerne nach ihrem Examen im nächsten Jahr ins Ausland gehen, Panpan nach Deutschland, Athena nach USA. Wir haben an unserem Abschiedsabend in einem sehr netten Fischrestaurant in der Nähe der Universität über ihre Träume gesprochen. Beide junge Damen sind sehr zielstrebig und ich traue es ihnen zu, dass sie den Traum verwirklichen. Vielleicht sehen wir uns also eines Tages wieder im Westen – bis dahin verbindet uns WeChat und die gemeinsame Leidenschaft für Yoga.