Heute ist Tushuquan Tag. Dieses chinesische Wort für Bibliothek gehört zu meinen Lieblingsworten. Es klingt ungewöhnlich und geheimnisvoll – vielleicht birgt es für mich die Geheimnisse und Verheißungen, die Büchereien schon zu meiner Jugendzeit auf mich ausübten. Diese Woche will ich nutzen für die Recherche zu mehreren Fachartikeln über die Themen meines Buchs: Mitarbeiterführung, Kommunikation, Konfliktlösung, Coaching usw. Dafür muss ich ein bisschen Material sammeln und Interviews führen. Und heute ist Recherche in der Shanghai Library angesagt. Die Library (die größte in China) ist nur eine U-Bahn Haltestelle von meinem Apartment in der French Concession entfernt, das ist logistisch günstig.
Angekommen im imposanten Gebäude verschaffe ich mir erst einmal einen Eindruck. Ich brauche auf jeden Fall eine Library Card. Das, so erfahre ich am Registration Counter, ist kinderleicht: ich gehe an ein Terminal, gebe meine persönlichen Daten ein, bekomme eine Nummer ausgedruckt, gehe mit dieser wieder an den Counter und schon habe ich meinen Leserausweis in der Hand. Na, das ging aber schnell!
Ich verbringe mehrere Stunden in den Lesesälen auf vier Etagen der Bibliothek. Überall sitzen junge und ältere Leser an Tischen, viele Studenten mit Laptop, manche haben wie ich Tee und Kekse dabei, andere schlafen mit dem Kopf auf dem Tisch. Im Erdgeschoss gibt es eine Ausstellung über den geplanten Neubau der East Shanghai Library in Pudong: 2016 hat das dänische Architekturbüro SHL mit einem aufsehenerregenden Entwurf den Wettbewerb gewonnen.
Die Bilder des Neubaus, der 2010 fertig werden wird, sind wirklich faszinierend und werden den Besuchern eine ganz andere Atmosphäre und eine ganz andere Philosophie der Begegnung mit Büchern und Menschen bieten – so schreibt eine Redakteurin der Shanghai Daily – als das 1996 eingeweihte Gebäude in der Middle Huaihai Road, in dem ich heute bin. Denn dort sind nur 20% des Gebäudes für das Publikum zugänglich. Am Ende der Ausstellung über das Neubauprojekt können Besucher farbige Post-It beschriften und an eine große Wand pinnen. Ich wünsche mir, dass ich 2020 die neue Bibliothek in Pudong besuchen kann.