Mein Blog erfreut sich immer mehr Leser, das weiß ich aus Euren Kommentaren und Zuschriften. Einige Freunde in Deutschland fragen mich manchmal, ob ich China nicht in einem zu rosigen Licht sehe. Ich denke, ich bin sicherlich sehr China-freundlich eingestellt, weil ich über die Jahre viel positive Entwicklung hier gesehen habe und mir China zugleich viel ermöglicht hat. Trotzdem verkenne ich nicht die Schattenseiten des Systems. Ich hatte vor einigen Tagen über die Internet Zensur berichtet. Heute will ich ein Problem aus dem Gesundheitssektor schildern. In den Medien wurde in den letzten Tagen anlässlich eines HIV/Aids Kongresses in Guangzhou viel über die Verbreitung dieser Krankheit berichtet.
In China gibt es aktuell – so berichten Shanghai Daily und Global Times – 720.000 Aids-Patienten. Von 2010 bis 2016 stieg die Anzahl der postitiv getesteten Menschen um 25 %. Ein Professor der Tsinghua University School of Medicine berichtet auf dem Kongress, dass nur 60 % der HIV/Aids Patienten Behandlung bekamen in 2016. Aber was ist mit dem Rest? Aids war bis Anfang der 2000er Jahre eines der Tabu-Themen in China, die Medien berichteten gar nicht darüber. 2002 gab die chinesische Regierung zum ersten mal offiziell zu, dass es die Krankheit in China gibt, immerhin 18 Jahre nach dem ersten Aids Fall in China. Das hat sich nun geändert. Durch mehr Aufklärung und mehr Tests werden mehr Fälle berichtet und das ist auch ein Grund dafür, dass die Krankheitszahlen steigen.
Ein weiterer wichtiger Grund ist die offenere Einstellung der jungen Leute zu Sex, zur Homosexualität und zu wechselnden Sexualpartnern. In einer Studie der Beijing Normal University gaben von 4.500 befragten Studenten 26,1% an, zwei bis drei Sexualpartner gleichzeitig zu haben. 36,8% sagten, sie seien offen für One-Night-Stands. Und schließlich: 74,2 % gaben an, keinen Sexualkundeunterricht in der Schule gehabt zu haben. Das ist eine große Herausforderung für das Bildungssystem: die Regierung schreibt sexuelle Aufklärung in den Schulen vor, die Policy wird aber nur ungenügend umgesetzt, wird Wu Jiang vom Aids Prevention Education Project, einer in 2006 gegründeten NGO, zitiert.
Was kann China kurzfristig tun? Das Fernsehen (Channel News Asia) berichtete über kostenlose Aids-Tests für Studenten, die an die Haustür geliefert werden: keiner muss sich in der Apotheke outen. Die Studenten haben nämlich Angst, dass ihre Schule oder Universität vom Resultat erfährt und Sanktionen drohen. Deshalb sind diese Tests auch in Selbstbedienungsautomaten auf dem Campus erhältlich. Ich habe diese Automaten gesehen auf unserem Campus in Wuhan, man kann Standard Arzneimittel dort erhalten wie Süßigkeiten. Im Fernsehen wird (mit Decknamen) der Student Oliver interviewt, der einen solchen Test gemacht hat und sagt, dass er extrem nervös gewesen sei. Zu der Angst, sich angesteckt zu haben, kam die Angst, von der Uni ausgeschlossen zu werden und eine Bürde für die Gesellschaft zu sein. Sein Test fiel negativ aus – so far, so good. Da gibt es noch viel zu tun, u.a. für die First Lady Peng Liyuan, die sich als Botschafterin im Kampf gegen AIds engagiert und für die Gesetzgebung, die erst vor kurzem die Behandlung für HIV-Positive Patienten kostenlos gemacht hat.