Ein großes Thema momentan in meinem Umfeld hier ist die Kinderfrage. Während es noch vor ein paar Jahren obligatorisch war, dass Kinder als Einzelkinder aufwachsen durch die Ein-Kind-Politik der chinesischen Regierung, hat sich das ja gewandelt. Ich war selbst vor Ort, als 2015 das Gesetz geändert wurde und seit damals zwei Kinder erlaubt sind. In einem früheren Blog Beitrag habe ich darüber geschrieben, wie schwer vielen Familien die Entscheidung für ein weiteres Kind fällt.
Nun habe ich den Eindruck, dass sich die Situation etwas wandelt: mehrere Kollegen im Team an der Universität haben gerade zum zweiten Mal Nachwuchs bekommen. Einige meiner Studenten, die ich jetzt immer frage, ob sie Geschwister haben, erzählen von kleinen Brüdern oder Schwestern, die mit großem Abstand zu ihnen auf die Welt gekommen sind. Das liegt sicherlich zum einen an der Lockerung der gesetzlichen Regelung, zum anderen aber auch am wachsenden Wohlstand. Wer entscheidet sich für ein weiteres Kind? Wer einen festen Job hat, eine genügend große Wohnung und gute Zukunftsaussichten. Das gilt für immer mehr junge Familien in den Großstädten, zumal hier am prosperierenden Standort Wuhan, an einer Uni, an der zwar die Gehälter nicht top, der Arbeitsplatz aber sicher ist.
Und doch: es gibt auch andere Stimmen: die Kollegin, deren Sohn am Samstag mit ins Büro gekommen ist, ein süßer kleiner Junge von zwei Jahren, frage ich, ob sie weiteren Familienzuwachs plant. Die Antwort kommt schnell und sehr bestimmt: auf keinen Fall. Ein Kind sei genug, auch in China sei es nicht einfach, einen anspruchsvollen Job und ein Kind unter einen Hut zu bekommen. Zwei Kinder, das wäre nochmals ein großer Sprung und würde viele Einschränkungen bedeuten. Und ich muss wieder an meinen Freund Wang Ning aus Peking denken: er sagte vor etlichen Jahren einmal zu mir: meine Tochter gehört zur „lost generation“. Ein harter Ausdruck, den man eigentlich für die Jungen Leute gebraucht, die während der Kulturrevolution nicht studieren konnten. Er meinte es anders: lost, weil sie ohne Geschwister aufwachsen, die Freuden des Teilens und des Miteinanders nicht kennen und später einmal für vier Erwachsene sorgen müssen …